Rettung für ein Stück Familiengeschichte
Restaurierungsbedürftig: Die MS Altenrhein nach ihrer Rückkehr an den Bodensee.
Schnell war klar: Dieses Boot muss an den Bodensee zurück – zumal der Schweizer signalisiert hatte, dass er die Altenrhein dem Museum schenken würde, obwohl es auch andere Interessenten gab. Im Juli 2020 dann, nachdem es wegen Corona zu Verzögerungen gekommen war, ist die Sensation perfekt: Nach Jahrzehnten kehrt die 1928 für die Dornier-Werke Altenrhein in Dienst gestellte MS Altenrhein an den Bodensee zurück. In der Bodan-Werft in Kressbronn nach den Plänen von Dornier-Testpilot und -Einflieger Franz Zeno Diemer gebaut und seinerzeit mit einem 65 PS (48 kW) starken 6-Zylinder-Maybach-Motor ausgestattet, war sie Schlepp-boot für das legendäre Flugschiff Do X und wurde auch für Passagierfahrten zur Do X eingesetzt. Darüber hinaus durften Werftbesucher mit der MS Altenrhein fahren. Auf historischen Fotos ist zu sehen, wie das Boot mit dem schlanken Rumpf und dem hohen Bug unter dem Riesenschiff anlegt. Oder wie die MS Altenrhein die gewaltige Do X schleppt – ein letztes Mal, bevor das Flugschiff nach Berlin ins Museum gebracht und dort später bei einem Bombenangriff zerstört wird.
Mit vollem Einsatz
Doch von der einstigen Pracht des 15 Meter langen und 2,8 Meter breiten Motorboots, das für 20 Passagiere ausgelegt ist, einen Tiefgang von maximal 1,53 Metern und eine Verdrängung von sieben Tonnen hat, ist an jenem Tag, an dem es nach Jahrzehnten zurück an den Bodensee kommt, nicht mehr viel übrig. Am Rumpf müssen Beschläge und Fenster demontiert und die alte Farbe am Über- und Unterwasserschiff entfernt werden. Weitere Arbeiten: Rumpf ausrichten, defekte und fehlende Planken austauschen, alle Fugen mit Holzstäben ausleimen und verputzen und vieles mehr.
David Dornier will das Familienerbe retten, legt selbst an dem Schiff Hand an, das einst sein Großvater Claude Dornier bauen ließ. Unermüdlich schleift der Bootsliebhaber den Rumpf der MS Altenrhein in einem Hangar am Bodensee-Airport. „Die minderen, zeitraubenden Arbeiten machen wir selber“, versichert er. Im November 2021 wird das Schiff zur weiteren Restaurierung in die mehr als 100 Jahre alte Yacht- und Bootswerft Michelsen in Friedrichshafen überführt.
Laut Motorboot-Kontrollkarte wurde die MS Altenrhein 1940 bis 1944 stillgelegt. Ab 1948 waren die Flugzeug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA), Nachfolgerin der Dornier Werke Altenrhein, Schiffseigner. 1955 wurde das Schiff offenbar bei der Bergung eines vor Horn im Kanton Thurgau in den Bodensee abgestürzten P-16-Prototyps der FFA eingesetzt. 1990 begann ein Schiffsliebhaber die Altenrhein zu restaurieren. Jahre später wurden diese Arbeiten beendet. Dann hörte man nichts mehr von diesem Arbeitsschiff – bis im Oktober 2019 die Mail des damaligen Schweizer Eigners im Dornier Museum ankam.
Aus dem Schatten der Geschichte
Derzeit laufen die Restaurierungsarbeiten in der Michelsen-Werft auf Hochtouren. „Wir haben Teile des Kiels erneuert, Planken eingeschäftet und zudem die Außenhaut gebrettet, also mit einem auf ein Brett aufgezogenes Schleifpapier mit 40er-Körnung geschliffen“, erklärte Werftchef und Bootsbauer Karsten Timmerherm im August. Seinerzeit wurde die MS Altenrhein in einer beeindruckenden zweistündigen Aktion umgedreht und nach Jahrzehnten zur Kontrolle der Wasserlinie wieder im Bodensee eingewassert. Ein Kran der Zeppelin-Metallwerke, der eine Last von bis zu 10.000 Kilogramm bewältigen kann, hatte zuvor noch ein 1.750 Kilogramm schweres Bleigewicht in den drei Tonnen schweren Rumpf gehievt – es sollte die noch fehlenden Ruder, den noch nicht eingesetzten 90 PS starken Dieselmotor und die Innenausbauten simulieren. 14 Farbschichten sollen auf den Rumpf aufgezogen werden, bis das Schiff fertig restauriert ist.
Weil es den Ersten Weltkrieg verloren hatte, war Deutschland seinerzeit mit einem Flugzeugbau-Verbot belegt worden. Wenn die MS Altenrhein wieder schwimmt, wird es auch eine Reminiszenz an die legendäre Do X sein: Es war wohl dieses Dornier-Arbeitsschiff, das im Schutz der Dunkelheit Material über den Bodensee ins Schweizer Altenrhein geschippert und so den Bau des Flugschiffs ermöglicht hatte.
Aufwändige Aktion: Zwei Stunden dauert es, bis die MS Altenrhein umgedreht ist.