Vom Gen zum Gourmet
An einem heißen Julitag um sieben Uhr früh schiebt Heino Huber einen gigantischen Einkaufswagen durch einen Dornbirner Großmarkt. Spät ist es geworden, gestern bei der Sterne & Hauben-Fahrt; geschlafen hat er nur drei Stunden, und um neun muss er zum Brunch wieder auf dem Schiff sein. Morgen Abend steht eine Gourmetfahrt auf der Hohentwiel an, auf der Oesterreich steht „My Way“ auf dem Programm. In manchen Wochen produziert er mit einer Crew eine Vielzahl von Tellern. Die Vorstellung, an Land würde alles vorgekocht und an Bord nur aufgewärmt, ist grundfalsch. Gearbeitet wird wie in jeder Profiküche. Der einzige Unterschied besteht darin, dass zwischen Vorbereitung und Endfertigung die Speisen vom Land aufs Schiff gebracht werden müssen.
Der Rohstoff diktiert das Menü
Mit voll beladenem Auto fährt Heino Huber nach Hard. Sein Handy klingelt: Toni Fink am Apparat. Er führt den letzten Schlachtbetrieb im Bregenzerwald und hat bestes Ländle-Kalbsfilet anzubieten. In Heino Hubers Gehirn beginnt es zu rattern. Kurzfristig ändert er seinen Menüplan: 25 Festspielfahrten für je 100 Menschen machen 2.500 Portionen Kalbsfilet. Für hohe Qualität muss man nicht teuer, sondern schlau einkaufen, flexibel bleiben, gute Kontakte haben und kreativ sein. Im Biohof „Wegwarte“ in Koblach wird Zucchini knapp, dafür gibt es reichlich Auberginen. Und Fenchel. Der steht noch auf dem Acker und ist so knackig, aromatisch und voller ätherischer Öle, dass Heino Huber kaum mehr hinzufügen wird. Sein Qualitätsfanatismus beginnt beim Rohstoff. Stets ist er auf der Suche nach noch besserem Fisch, noch zarterem Huhn. Zur Festspielfahrt überzieht er das Kalbsfilet mit Barbecue-Lack und erfindet passend zu Madame Butterfly „Mister Pinkertons Veal Tenderloin“. Natürlich ist das Tenderloin Mister Pinkertons Leibspeise, behauptet Heino Huber lachend. Für den Freischütz im Sommer 2024 denkt er sich etwas Neues aus, womöglich in letzter Sekunde.
In die Wiege gelegt
Im vorletzten Jahrhundert kommt Augusta Huber in Biberach zur Welt. Sie beherrscht die schwäbische Küche. Ihr Sohn Ernst will unbedingt Koch werden, nur Lehre will er keine machen. In einer Konditorei in der Schweiz verdient er mehr. Ernst genießt das Leben. Sonntags tanzt er zum Fünf-Uhr-Tee im beliebten Café Greiter in Bregenz, wo er sich in die siebzehnjährige Gerti verliebt.
Gertis Familie führt in Lustenau eine Metzgerei. Man kann es sich leisten, Gerti in ein Internat für Höhere Töchter nach Lugano zu schicken. Zur Abschlussprüfung beherrscht sie 40 Dreigangmenüs, die sie in ein Buch schreibt, das ihre Familie hüten wird. Innerhalb von drei Jahren bekommen Gerti und Ernst drei Kinder. Buchstäblich beginnt der Ernst des Lebens. Frech bewirbt sich Ernst im ehrwürdigen Gasthaus Linde in Dornbirn als Küchenchef. Er ist gerade mal 22 Jahre alt. Seine Unsicherheit, was die fehlende Ausbildung angeht, verbirgt er hinter Sprüchen. Als er auf dem Menüplan „Brätspätzle“ liest, traut er sich nicht, seine Chefin zu fragen, was das ist, sondern ruft Gerti an und fragt, ob es okay sei, wenn er die Spätzle vom Vortag anbrate.
Solche Anekdoten überdauern Generationen. 15 Jahre kocht Ernst Huber in der Linde, produziert zu Messezeiten 600 Mittagessen, arbeitet nachts und schläft tags. Seine Kinder sieht er nicht oft. Zu Hause im Bauernhof in Lustenau, der zur Metzgerei gehört, kocht Gerti. Als sie einmal krank im Bett liegt, muss der fünfjährige Heino einspringen. Haferschleimsuppe soll er machen, den Herd einschalten, auf einen Sessel klettern, die Haferflocken nicht zu heiß rösten. Heinos Talent fällt auf. Seine Geschwister finden, er soll den Salat marinieren, weil seiner am besten schmeckt.
Lehr- und Wanderjahre
Nach vier Jahren Gymnasium in Dornbirn Schoren besteht Heino Huber unter 400 Bewerbern die Aufnahmeprüfung in die Tourismusschule im Schloss Kleßheim in Salzburg. Die Schule ist teuer. Er darf kein Jahr verlieren. Vom Opa bekommt er die schönsten Seidenkrawatten. In Anzug, dunkelgrauem Sakko mit Schulwappen und dunkler Hose folgt Heino Huber dem Unterricht. Unterdessen eröffnen seine Eltern in Bregenz das Gasthaus Zoll. Ihre Kochkünste schlagen ein wie eine Bombe. 1980 erscheint zum ersten Mal der Gault & Millau. Auf Anhieb schafft es das Zoll unter die besten 5 Lokale Österreichs. Ganz Wien spricht von dem Phänomen im Westen. Gourmets, die Spitzenköche in der ganzen Welt kennen, reisen an. Ernst und Gerti Huber knüpfen wichtige Kontakte für ihren Sohn, von dem sie Großes erwarten. Sie schenken ihm einen Messerkoffer. Heino Huber hasst dieses Geschenk. Er will nicht Koch werden.
Nach der Matura 1982 bekommt er das Angebot, in Hongkong internationale Hotelkarriere zu machen. Während er sich schon seine glänzende Zukunft in der Skyline Asiens ausmalt, organisieren seine Eltern für ihn ein Praktikum in Venedig. In Harry‘s Bar soll er lernen, wie man anständigen Risotto und Ravioli macht. Ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. In einer Novembernacht steigt der junge Heino Huber also aus dem Zug, den Koffer in der Hand, und fällt beinahe in den Canal Grande, weil er im dicken Nebel nichts sehen kann. Verzweifelt sucht er diese verdammte Harry‘s Bar, von der alle reden, als sei sie heilig. Italienisch kann er nicht viel, ohne Arbeitsbewilligung kommt er sich vor wie ein U-Boot.
Gegründet wurde die Bar von Giuseppe Arrigo Cipriani und seinem amerikanischen Freund und Geldgeber Harry Pickering. Die Drinks, die Charlie Chaplin, Peggy Guggenheim, Orson Welles, Truman Capote und Ernest Hemingway schlürften, erfand der Barkeeper Ruggero Caumo. Als ihn Heino Huber kennenlernen darf, hat er bereits 46 Jahre in Harry’s Bar am Buckel. Caumo erfand nicht nur den Bellini. Cocktail-Bibeln sind voll mit seinen Rezepturen. Und die Bar ist voll mit illustren Charakteren. Der Patissier, ein italienischer Karatemeister, knetet Teig mit furchteinflößenden Unterarmen. Mit fünf Köchen aus den Abruzzen teilt sich Heino Huber eine Wohnung im Norden und muss durch die halbe Stadt. Oft fühlt er sich einsam. Was macht er hier? Zu Hause feiern sie eine Haube nach der anderen und ihn lässt man rennen.
Aber die Crew in Harry’s Bar merkt, wie schnell er begreift, dass er nicht nur im Weg herumsteht, sondern hilft. Sie bringen ihm Wertschätzung entgegen. Bald darf er alles machen und da passiert es: Heino Huber fängt Feuer. „Es war scheißharte Arbeit, aber so geil, wenn aus der Lagune jeden Tag fangfrischer Fisch kommt und man Gerichte rausknallt, die die Menschen happy machen.“ Sein nächstes Praktikum trägt ihn nach Paris.
Vom Schatten ins Licht
Sein Können trägt er heim nach Bregenz. Ernst Huber wird Koch des Jahres. Heino hat einen schweren Stand. Er kennt tragische Geschichten, in denen es die Söhne nie schaffen, aus dem Licht des Vaters zu treten. Das liegt nicht am Können der Söhne, sondern weil Presse und Öffentlichkeit das nicht zulassen wollen. Lange glaubt er, mit diesem Umstand leben zu müssen. Umso glücklicher macht es ihn, als er im Alter von 36 selbst Koch des Jahres wird. In Europa sind Ernst und Heino Huber die einzigen innerhalb einer Generation, die zweimal Koch des Jahres werden und insgesamt acht Hauben bekommen.
Auszeichnung als „Koch des Jahres“ Gault & Millau, 1998
Heino Huber
Lehrjahre
Arrigo Cipriani in „Harry’s Bar“ in Venedig Maitre Faugeron im „Taillevent“ in Paris Eckart Witzigmann im „Aubergine“ in München
Werdegang
1994 – 2015 Gourmethotel Deuringschlössle in Bregenz
2016 – 2018 Maurachbund Bregenz
2011 – 2019 Jugendstil-Dampfschiff Hohentwiel
seit 2019 Historische Schifffahrt Bodensee GmbH (Dampfschiff Hohentwiel & Motorschiff Oesterreich)
Auszeichnungen
Koch des Jahres, Gault & Millau 1998
Trophèe Gourmet, À la carte
Goldener Stern, Genießer Atlas
Ein Stern im Guide Michelin
3 Hauben und 18 Punkte von Gault & Millau