Newton wirkt immer
Bild links: Das von Baumschlager Eberle entworfene Nordwesthaus ragt mit seinen 14 Metern Höhe direkt aus dem Wasser empor und besticht durch seine einzigartige Architektur. Unter dem Glaskubus finden sich filigrane, geschwungene Betonwände. Bauherr: Hafen Rohner | Planung: Baumschlager Eberle Architekten | Statik Mader, Flatz / Bild rechts: v.l.n.r.: Ziviltechniker DI Ernst Mader, DI Markus Flatz und Reinhard Schett von Mader | Flatz | Schett ZT GmbH Bregenz
Wann beginnt eure Arbeit bei einem Bauprojekt?
Mader: Möglichst früh, damit man die konstruktiven, wichtigen Dinge so früh wie möglich in die Planung des Architekten einfließen lassen kann. Wenn ein Architekt selbst kein konstruktives Verständnis hat und man dann sozusagen die Kräfte ums Eck leiten muss, kann das viel Geld kosten. Deshalb ist die von Anfang an beginnende statische Beratung sehr wichtig.
Flatz: Die Einbindung der Statik beginnt schon in der Entwurfsphase.
Ist das eure Wunschvorstellung oder der Regelfall?
Flatz: Bei unseren Kunden ist das zu 80 % der Fall. Wir sind auch oft wettbewerbsbegleitend tätig und dadurch auch in der Entwurfsphase dabei.
Schett: Je früher der Statiker dabei ist, desto wirtschaftlicher wird die Konstruktion. Wenn erst im Zuge der Einreichplanung die Statikleistung vergeben wird, ist es eigentlich schon zu spät.
Mader: In der Einreichplanungsphase sind viel zu viele Dinge bereits definiert. Ab da kann man nur noch gesundrechnen, was eigentlich schon krank ist – wie wir so schön sagen.
Kann man sagen, der Statiker ist das Bindeglied zwischen Pragmatismus und Idealismus?
Flatz: Ja, definitiv! Also die physikalischen Grenzen sind klar, aber es gibt natürlich immer verschiedene Methoden, um dorthin zu kommen.
Mader: Newton wirkt immer. Die Kräfte zum Erdmittelpunkt sind ein Fakt. Da kann man machen, was man will – die Statik ist und bleibt die Lehre des Gleichgewichts.
Schett: Die Summe aller Kräfte ist null. Mader: Und wir sind daran geknüpft, dass der Newton immer zum Erdmittelpunkt zieht.
Ist es eine willkommene Herausforderung, wenn ein Architekt kommt, der das außer Kraft setzen will mit seinem Entwurf – oder ist es eher anstrengend?
Schett: Das ist spannend! Ein Bauwerk, in dem alle Lasten gerade nach unten gehen, ist eigentlich keine Herausforderung, das kann schnell mal wer berechnen. Aber wenn man die Lasten anders abführen muss, ist es zwar für uns umständlicher, aber im Nachhinein dann auch sehr interessant.
Kann man sich normalerweise in Bauwerken sicher fühlen bzw. gibt es Bauwerke auf dieser Welt, bei denen ihr als Statiker sagt: Lieber nicht betreten …?
Flatz: Ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass man in einem Gebäude wegen einem Statikfehler ums Leben kommt, ist zumindest in Mitteleuropa doch sehr gering. Natürlich gibt es das aber immer wieder. Vor allem durch verdeckte Mängel, wie z. B. morsche Balken oder falsch angebrachte Isolierung.
Schett: Prinzipiell ist es so, dass die Gebäude immer sicherer werden, da die Normen immer umfangreicher werden und so viel mehr Punkte geregelt sind, wo es früher quasi im Aufgabengebiet des Ingenieurs lag, das zu beurteilen. Früher hatten die Normen 300 Seiten, heute sind es tausende. Es wird durch die Normen auch immer schwieriger, ein Ingenieur zu sein, der alles beherrscht. Man wird immer mehr zum Spezialisten in einem gewissen Bereich, z. B. im Betonbau.
Flatz: Bauphysik ist übrigens auch ein Gebiet, das immer mehr in unseren Aufgabenbereich fällt. Früher hat man sich kaum einmal mit bauphysikalischen Themen beschäftigen müssen, aber mit all den neuen Vorschriften zu Förderungen und was auch immer hängt alles davon ab, was der Bauphysiker einem vorschreibt. Und mit denen kämpfen wir dann auch dauernd, weil sie manchmal praktisch Unmögliches fordern.
Wie sieht das Haus der Zukunft aus?
Mader: Ich glaube, dass wir reduzieren müssen. Wir haben mittlerweile eine Übertechnisierung. Unsere Häuser haben zu komplizierte Heizsysteme, zu komplexe Elektrosysteme. Wir brauchen wieder eine Reduktion auf klare Materialien und Bedürfnisse.
So wie das Haus 2226 von Baumschlager Eberle Architekten?
Mader: Ja, das Haus 2226 ist das beste Beispiel. Es hat damals, als es gebaut wurde, glaube ich über 1 Million Euro an Haustechnik gespart, obwohl da sehr viel Steuerungselektronik drinnen ist, weil es ein Versuchshaus ist. Aber je reduzierter ein Haus ist, desto einfacher und besser. Und das kommt auch wieder, d. h. das Pendel schlägt wieder in die andere Richtung aus. Das ist auch eine Kostenfrage. Übertechnisierung und sinnlose Dämmung lassen die Kosten explodieren. Heute weiß man, dass die Passivhäuser nicht funktioniert haben. In der Theorie haben sie funktioniert, aber in der Praxis haben sie durch die vielen Steuersysteme und künstliche Be- und Entlüftung mehr Energie verbraucht als gespart. Noch heute sind die Poroton 38 Ziegelhäuser eigentlich energietechnisch die besten Häuser. Ganz ohne technischen Firlefanz. Wir haben ja im Rheintal im Monatsdurchschnitt nie unter 0 Grad Celsius. Also wozu das alles?
Welche Projekte waren die wichtigsten für euch als Unternehmen?
Mader: Wahrscheinlich das Bregenzer Festspielhaus. Sowas wurde seither nicht mehr gebaut. Damals noch mit Albert Plankel, meinem früheren Büropartner. Wir betreuen mittlerweile seit 40 Jahren auch die Seebühne der Bregenzer Festspiele. Dann gab es noch sehr viele Seilbahnprojekte. In Saalbach-Hinterglemm oder die Ahornbahn im Zillertal, die größte Seilschwebebahn Österreichs. Dafür haben wir die Statik für die Station berechnet und die Stützenfundamente.
Flatz: Ansonsten auch viel Industriebau, große Hallen. Wohnanlagen en masse. Einfamilienhäuser. Vom Stadl bis zur Villa, wir machen alles! (lacht) Und dann natürlich noch die Statik für Kunstwerke! Wir sind die Einzigen, die eine Schiene haben von „Göpf“ Gottfried Bechtold. Wir haben auch die Schalung für seinen Beton-Porsche berechnet.
Wie kommt es zu diesen Kooperationen?
Mader: Mit den meisten Auftraggebern entwickeln sich über Jahrzehnte Freundschaften. Bei Baumschlager Eberle Architekten sind wir quasi Haus-und-Hof-Statiker und machen so gut wie alle Projekte für sie. Auch international bereits in der Entwurfsphase.
Schett: Mit dem Eurocode ist es in Europa relativ einfach, als Statiker auch in anderen Ländern zu arbeiten.
Mader: Gebaut haben wir schon in Italien, der Schweiz, Deutschland, Türkei. Auch für die Deutsche Bundeswehr. Da durften wir dann sogar mit dem Generaltruppeninspektor der Bundesrepublik ein Bierchen trinken – das war lustig.
Wie ist es mit der Verantwortung? Kann man in der Nacht gut schlafen als Statiker?
Mader: Man muss halt ein bisschen was für die Nerven tun. Ein Glas Rotwein oder so. Nein, Spaß beiseite, es gibt schon so Momente …
Schett: … zum Beispiel bei Seilbahnen. Man hat zwar alles berechnet, aber es erleichtert einen trotzdem, wenn man hört, das alles passt. Fehler können immer passieren. Speziell als junger Ingenieur sind die ersten 5–6 Projekte schon noch mit großer Ehrfurcht betrachtet worden.
Ihr interessiert euch ja auch für Schiffe. Wie kam es zu eurem Kontakt zur Historischen Schifffahrt Bodensee?
Flatz: Eigentlich ist der Mader schuld, weil ihm der Jürgen Zimmermann (Anm.: Initiator des Fördervereins MS Oesterreich) über den Weg gelaufen ist. Damals ging es zunächst nur darum, Mitglied zu werden und sich für die Erhaltung und Renovierung des Motorschiffs Oesterreich zu engagieren. Aber dann wurde es sehr schnell zur großen Leidenschaft.
Gibt es darüber hinaus eine Verbindung zwischen eurer Tätigkeit als Statiker und der Schifffahrt?
Flatz: Nein, eigentlich nicht. Die Hauptaffinität unseres Büros zur Schifffahrt ist eine ganz andere. Früher ging es beim alljährlichen Betriebsausflug immer mit dem Wälderbähnle in den Bregenzerwald. Als das Bähnle dann eingestellt wurde, gab es einen jährlichen Büroausflug mit einem Linienschiff. Wir sind jedes Jahr mit einem Linienschiff in eine Stadt am Bodensee gefahren, haben dort zu Mittag gegessen, Minigolf gespielt, sind zurückgefahren und aufs Bregenzer Stadtfest gegangen. Höhepunkt war immer die letzte Fahrt am Abend von Lindau nach Bregenz, mit der anonymen Wahl des sogenannten „Quakle“ (Anm.: Insiderbegriff des Büros Mader | Flatz | Schett, welcher nicht genauer erklärt werden kann …). Entweder man ist ein Quakle, oder man ist es nicht. Jedenfalls hat sich dieser Quakle im Laufe des Ausflugs qualifiziert – freiwillig oder unfreiwillig. Ein besonderes Privileg war es, dass der Kapitän des Linienschiffs das Ergebnis der Wahl über den Bordlautsprecher verkündet hat. Ganz nach dem Motto: Achtung, Statiker an Bord.
Alle drei lachen.
Wir danken für das Gespräch.