Rettung in letzter Minute
„Schandfleck” und „Schrotthaufen”
Die Superlative der negativen Art enden nicht. 1913 als prachtvolles Schiff für den württembergischen König vom Stapel gelaufen, hängt die Hohentwiel Mitte der 1980er Jahre als rostiges Wrack zwischen der ebenso verrosteten Autofähre Konstanz II und einem Kieskahn in der Fußacher Bucht. Nachdem der Bregenzer Segelclub den letzten Schaufelrad-dampfer nach seiner Ausmusterung am 31. Oktober 1962 durch die Bodensee-Schiffsbetriebe in letzter Minute vor dem Schneidbrenner gerettet und ihn als Clubheim eingesetzt hatte, ist im Sommer 1984 scheinbar sein Ende besiegelt: Der Restaurationsbetrieb muss aus Sicherheits- und Hygienegründen behördlich verordnet eingestellt werden. Das einstige Prunkstück der Königlich Württembergischen Dampferflotte wird von Bregenz nach Fußach geschleppt.
Nach mehreren gescheiterten Rettungsversuchen passiert, was Pessimisten für völlig unmöglich und Realisten für sehr unwahrscheinlich gehalten haben: Das Schicksal der Hohentwiel wendet sich in letzter Sekunde. Die Regierungschefs der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK) beschließen am 18. November 1983, die Hohentwiel zum Preis von 70.000 öS (das sind 8.300 CHF beziehungsweise 10.000 DM) zu kaufen. Als Vollzug des IBK-Beschlusses wird am 5. Oktober 1984 auf dem Gebhardsberg hoch über Bregenz der „Verein Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum” gegründet, zum Präsidenten wird der damalige Lindauer Landrat Klaus Henninger gewählt.
Projekt gegen alle Widerstände
Mit beinahe unglaublicher Energie und einem Durchhaltevermögen sondergleichen macht sich Klaus Henninger an seine neue Aufgabe. Mit Schiffsingenieur Reinhard E. Kloser, der bald Projektleiter wird, treibt er trotz teils erbitterter Widerstände die Restaurierung der Hohen-twiel voran. Von einer „Herkulesaufgabe” spricht der in die Arbeiten involvierte Diplom-Ingenieur Johannes Leidenfrost, seinerzeit maschinen- und schiffsbautechnischer Sachverständiger beim Amt der Vorarlberger Landesregierung.
Dass bei der Restaurierung nachfinanziert werden musste, ist heute fast vergessen. „Einigen Unmut” habe dies in den IBK-Sitzungen verursacht, erinnert sich der frühere Vorarlberger Landeshauptmann Dr. Martin Purtscher, Nachfolger von Landeshauptmann Dr. Kessler, zu dessen Amtszeit die Rettung der Hohentwiel startete. „Glücklicherweise ist der Ärger über die Nachfinanzierung der Freude übers Schiff gewichen. Die Hohentwiel ist ein Juwel.” Die zweite Jungfernfahrt wird für den 17. Mai 1990 festgelegt. „In gottseliger Blindheit haben wir uns in das Unternehmen Hohentwiel hineingestürzt, und dank Gottes Hilfe haben wir doch noch diesen langen, mühsamen Weg ordnungsgemäß zurückgelegt”, sagt Vereinspräsident Klaus Henninger. Projektleiter Kloser erklärt: „Mit Hilfe von 186 verschiedenen Firmen und meiner früheren Reederei in Hamburg haben wir aus einem Schrotthaufen die Hohentwiel wiederaufgebaut – für rund 2,4 Millionen Euro. Dafür bekam man bestenfalls ein Motorboot schlichtester Ausstattung für 250 Fahrgäste.”
Die Väter: Henninger & Kloser
Die IBN schreibt im Juli 1992 unter dem Titel „Ein Veteran der Superlative”: (…) „Dem Lindauer Landrat Klaus Henninger ist es zu danken, dass das Unternehmen Hohentwiel Erfolg hatte. Der Vereinsvorstand und Hans-Dampf-in-allen-Gassen war immer und überall – als Vereinsmitglied-Werber, als Sponsoren-Baggerer, Renovierungsreden-Trommler und Kredit-Bettler. Als tatkräftigen Mitstreiter hatte die rührige Landratte einen erfahrenen Seebären angeheuert: den Schiffsingenieur Reinhard Kloser aus Bregenz. Der fetzte wie ein Klabautermann in allen möglichen Schiffsbetrieben und Maschinenfabriken umher, immer auf der Suche nach Ersatzteilen für die Schiffsmaschinen. Und der ,verrückte Kloser’ bekam alles zusammen, was die Hohentwiel brauchte.”
Betrieben wird sie von einer eigens gegründeten Betriebsgesellschaft, der „Hohentwiel-Schifffahrtsgesellschaft m.b.H.”, Heimathafen ist das österreichische Hard. Bis Saisonende 2003 steuert Reinhard E. Kloser die Hohentwiel über den Bodensee, sein Nachfolger wird Adolf F. Konstatzky. Beide betonen, dass die Hohentwiel nur mit Herzblut, Liebe, hoher Flexibilität, Engagement und großer Motivation erfolgreich betrieben werden kann.
Pro Saison legt der Schaufelraddampfer etwa 10.000 Kilometer zurück und ermöglicht 20.500 Fahrgästen ein unvergessliches Erlebnis. Da passt es ins Bild, dass die HSG 2018 mit einer großen Neuigkeit aufwarten konnte: Nach jahrzehntelanger Suche ist die Original-Schiffsglocke der Hohentwiel wiederaufgetaucht, die Stuttgarter Zeitung titelt „Die Hohentwiel hat ihre Seele wieder”. Ein Jahr später eine weitere Attraktion: Mit Conny Simma ist die erste Maschinistin an Bord. Sie sorgt wie ihre Kollegen dafür, dass die Hohentwiel dampft und dampft und dampft. Aber das ist eine ganz andere Geschichte …
Statements
Helmwart Zortea
Ehemaliger Hafenmeister des Yachtclub Bregenz
„Der Segelclub Bregenz unter dem Obmann Herr Warnecke hatte kein eigenes Clubheim und so kauften sie die Hohentwiel mit der Bitte, diese im Bregenzer Segelhafen stationieren zu dürfen.
Da damals der Segelhafen fast leer war, habe ich als Hafenkommissär zugestimmt. Die Hohentwiel wurde dann am Nordmolo festgemacht und diente fortan als Clubheim. Der Segelclub wuchs ständig, immer mehr Liegeplätze für die Boote wurden benötigt. Da beschlossen der Obmann des Segelclubs und ich, die Hohentwiel direkt an den Strandweg zu verlegen. Zu der Zeit haben wir gerade die neue Anlage Hafenmeisterbüro sowie WC- und Duschanlagen gebaut. Der Segelclub benützte die Hohentwiel nicht nur als Clubheim, sondern sie war auch als öffentliches Restaurant zugänglich. Bei den Jahreshauptversammlungen des Segelclubs wurde jedoch immer wieder berichtet, wie hoch die Instandhaltungskosten des Schiffes waren. Ein Zustand, der auf Dauer nicht weiter tragbar war. Auf mein Angebot, auf unsere neue WC- und Duschanlage das Clubheim zu bauen, ist der damalige Obmann Herr Pschorr sofort eingestiegen. Nach Fertigstellung des neuen Clubheimes an Land war die Hohentwiel nicht mehr notwendig und rostete am Strandweg dahin. Da ich Platz für neue Liegeplätze benötigte, hat der Segelclub das Angebot gemacht, das Schiff verschrotten zu lassen.
Ich machte dann den Vorschlag, doch zuerst zu versuchen, die Hohentwiel in der Zeitung zum Kauf anzubieten, was dann auch geschah. Der damalige Landrat des Landkreises Lindau, Klaus Henninger, hörte von dem Angebot und hat sich dann mit dem Segelclub geeinigt und die Hohentwiel erworben. Wenn ich die Hohentwiel heute sehe, bin ich immer froh, wenigstens einen kleinen Teil zum Erhalt beigetragen zu haben.”
Mag. Markus Wallner
Landeshauptmann Vorarlberg
„Seit über 20 Jahren ist die Ausfahrt mit dem geschichtsträchtigen Schaufelraddampfer Hohentwiel eine liebgewonnene Tradition und fixer Bestandteil im dicht gedrängten Programm rund um die Eröffnung der Bregenzer Festspiele. Dabei schätzen in- und ausländische Fest- und Ehrengäste gleichermaßen das besondere Ambiente an Bord. Anlässlich der zweiten Geburtsstunde vor 30 Jahren gratuliere ich dem gesamten Team der Hohentwiel Schifffahrtsgesellschaft im Namen des Landes Vorarlberg sehr herzlich.”
Lothar Wölfle
Landrat des Bodenseekreises, Präsident des Vereins „Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum” von 2007 bis 2016, Ehrenmitglied Verein „Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum”
„Die Hohentwiel ist lebendige Geschichte in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist sie ein imposantes Zeugnis beeindruckender Technik und Beleg für die Blüte der Gesellschaft kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Zum anderen ist sie Beweis dafür, was bürgerschaftliches Engagement erreichen kann, wenn alle zusammen- helfen: nämlich aus einem schrottreifen Kahn das schönste Schiff weit und breit zu machen.”
Harald Köhlmeier
Bürgermeister a. D. der Marktgemeinde Hard
„Mit der Wiederinstandsetzung der Hohentwiel und ihrer Jungfernfahrt vor 30 Jahren hat eine ganz besondere Erfolgsgeschichte ihren Lauf genommen. Aus einem desolaten Schaufelraddampfer wurde in einer mehrjährigen Sanierung ein einzigartiges und elegantes Schmuckstück, das goldene Handwerkskunst widerspiegelt, Geschichte erlebbar macht und eine Brücke schlägt von der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft.”
Frank Hämmerle
Landrat a. D. des Landkreises Konstanz, Kassier des Vereins „Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum” bis 2013, Vorsitzender der Deutschen Sektion 2008 bis 2014, Ehrenmitglied Verein „Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum”
„Das war ein langer Weg: vom hässlichen, löchrigen und rostigen Entlein zum schönsten Schiff auf dem Bodensee. Vom Beginn der Restaurierung bis zur originalgetreuen Indienststellung und dem erfolgreichen Betrieb durfte ich die Ho-hentwiel weit mehr als 20 Jahre begleiten. Eine Erfolgsgeschichte, mit der ein technisches Kulturgut gesichert wurde.”
Herbert Thum
ab 1985 Kassier des Vereins „Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum” 2014 bis 2019 eigenverantwortlicher Kassier beim Internationalen Verein und seit 2008 bei dessen deutscher Sektion.
„Jedes Mal, wenn ich die Hohentwiel sehe, freue ich mich, und ein Wohlgefühl ist es für mich, dem sanften Stampfen ihrer Dampfmaschine lauschen zu dürfen. Dass der letzte Schaufelraddampfer auf dem Bodensee dank einer internationalen Kooperation gerettet wurde, ist sicherlich einzigartig. Toll, dass die Erhaltung der Hohentwiel aufgrund der Finanzlage gesichert ist und sich weitere Generationen an ihr erfreuen können.”
Für seine Verdienste um die Restaurierung der Hohentwiel wurde Reinhard E. Kloser mit dem Bundesehrenzeichen der Republik Österreich, dem Großen Verdienstzeichen des Landes Vorarlberg, der Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg und dem Ehrenzeichen der Marktgemeinde Hard ausgezeichnet.