Die Kunst der Nähe
Hat Corona die Anziehungskraft der Kunst verstärkt oder verändert?
In Zeiten der Gefährdung und Krise hat uns die Kunst – mehr als sonst – viel zu sagen. Statistiken und Zahlen sind wichtig, um Einschätzungen zu machen und politische Entscheidungen zu treffen. Aber letztendlich erleben wir diese Zeit ja emotional, in der Begegnung mit den Anderen, aber auch in der Begegnung mit uns selbst. Kunstwerke sind Referenzen der Gegenwart – auch für die kommenden Generationen. Wenn ich als Kunstgeschichtsexperte an den Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert denke, welcher schrecklich gewesen sein muss, dann erinnere ich mich über Kunstwerke oder Hans Jakob von Grimmelshausen. Oder ich nähere mich über Remarque an die Zeit der ersten beiden Weltkriege an. Wir brauchen diese emotionalisierte Erfahrung der Künstler:innen.
Sie waren als eines der wenigen Kunsthäuser weltweit bereits während des ersten Lockdowns sehr aktiv.
Ja, wir haben sofort mit einer Ausstellung reagiert, die fast nur Exponate zeigte, die tatsächlich während den ersten Wochen des Lockdowns entstanden sind. Das hat uns nicht nur beim hiesigen Publikum, sondern auch bei der Presse und den anderen Kunsthäusern und Museen viel Aufmerksamkeit und Anerkennung gebracht. Alleine die ausführliche Rezension in der New York Times zeigt, wie wichtig unsere Arbeit auch während dieser anspruchsvollen Zeit war und ist.
Das Kunsthaus Bregenz zählt zu den renommiertesten Museen der Welt. Wie kommt das?
Das stimmt. Wir strahlen weit über unsere Region hinaus. Und das war bereits die gesamten 25 Jahre so, das ist nicht mein Verdienst. Das hat viel mit der Architektur zu tun, aber natürlich auch mit dem Programm. Die Liste der hier ausgestellten Künstler:innen liest sich wie ein Lexikon der Gegenwartskunst. Unser Haus ist immer einem Künstler, einer Künstlerin exklusiv gewidmet. Das ist ein wirklich einmaliges Konzept, das sonst fast niemand auf der Welt so umsetzen kann. Das erklärt auch, weshalb wir bei den Kunstschaffenden selbst einen guten Ruf besitzen. Wenn man eine so große Gelegenheit bekommt, dass man mehrere Geschosse zur Verfügung hat, dann ist das etwas Besonderes. Wird man in die Tate Gallery eingeladen, oder ins Guggenheim Museum, dann sind das zweifelsohne die größten Ereignisse für eine Künstlerbiografie, aber dann ist daneben immer noch eine Sammlung, ein Showroom etc. zu sehen. Aber hier bei uns stehen sie mit ihrer Arbeit vollkommen im Mittelpunkt.
Das KUB geht im Jubiläumsjahr nach Venedig. Über die Billboards in Bregenz ist Ihre aktuelle Ausstellung immer auch außerhalb des Kunsthauses präsent. Wie wichtig ist der Auftritt im öffentlichen Raum?
Wir verstehen uns immer im Dialog mit den Menschen, das Räumliche spielt da eine untergeordnete Rolle. Über die Billboards an der Seestraße können wir 7 Flächen bespielen. Das hat seinen eigenen Reiz und die Künstler:innen lieben das. Kooperationen sind sehr wichtig. Ob etwa mit dem Philosophicum Lech, der Inatura oder unseren Dialogführungen – wir versuchen einfach, auf der Ebene der Vermittlung auch andere Kompetenzen zu vermitteln, uns sozusagen anzudocken, mit anderen zusammenzuarbeiten.
Im Jahr 2021 ging es auch erstmals mit dem Motorschiff Oesterreich, mit Gästen und Künstler:innen an Bord, auf den Bodensee hinaus.
Das war wirklich einmalig. Natürlich ist der Bodensee schon für sich ein Erlebnis. Aber die Gespräche, die wir bei diesen Fahrten geführt haben, habe ich als sehr inspirierend empfunden. Diesen nahen Kontakt mit den Künstler:innen gibt es nur hier. In New York zahlen Sie tausende Dollar, um mit denselben Künstler:innen an einem Tisch zu sitzen. Und hier bei uns sind sie plötzlich greifbar. Das sind unglaubliche Gelegenheiten, auch für das Publikum, denn man lernt ja den Tizian und die Artemisia Gentileschi der Gegenwart kennen. Auch bei den Künstler:innen, wie etwa der weltbekannten Sängerin und Regisseurin Brigitte Fassbaender, habe ich gespürt, was für ein Genuss solch eine Schiffsreise sein kann. Mein großartiges Team und ich arbeiten ja gerade im Sommer sehr viel. Da ist man bei einem Termin, der zwar öffentlich ist, aber bereits ein paar Minuten nach dem Ablegen des Schiffs fühlt man sich wie ganz weit weg. Das ist etwas Großartiges und sorgt für nachhaltige gemeinsame Erinnerungen.
Wir danken für das Gespräch.