Leidenschaft als Kompass
Als Jugendliche hätte sie gern eine Lehre zur Bootsbauerin und Segelmacherin begonnen, aber davon hörte sie zu spät. Stattdessen studierte sie und brachte anderen das Segeln bei. Mit Anfang dreißig kündigte sie ihren lukrativen Job und beschloss, im Lindauer Hafen eine Segelschule zu gründen. Damit ist sie eine der wenigen Frauen, die das wagen.
Die Chancen liegen bei null. Der Hafen gehört seit eineinhalb Jahrhunderten zu Konstanz. Anlegeplätze gibt es keine. Die Lindauer Behörden raten ihr, weiter zu träumen. Ihr Ruf, exzellent erklären zu können, spricht sich trotzdem herum. Viele wollen von ihr das Segeln lernen. Also kauft sich Hanna ein Segelschiff und ein Motorboot und legt sie im Zech-Hafen an. Dort darf kein gewerblich genutztes Boot stehen. Die Betreiber der bestehenden Lindauer Yachtschule zeigen sie an. Wo soll sie mit ihren Schiffen hin?
Klar zum Wenden
In Konstanz beschließt man, Hanna zwei Notplätze an Steg 5 zu geben. Vorübergehend. Die Lösung findet sich im Gesetz, dort steht, dass für gewerbliche Boote neue Liegeplätze erschlossen werden dürfen. So landen ihre zwei Schiffe endlich in einem sicheren Hafen. Hanna verteilt Flugblätter. Ihre Schule wächst. Medien werden aufmerksam – eine Frau, die eine Segelschule allein aufbaut und selbst führt, kommt in der Männerdomäne noch nicht oft vor. Kameras rücken an. Man sieht Hanna nun in der Tagesschau, wie sie vom Steg aus bei Sturm berichtet. Sie wird in Live-Shows eingeladen. Zufriedene Kundschaft bringt neue Kundschaft.
Die Schule wächst
Nach zehn Jahren schafft sie es nicht mehr allein. Sie stellt zwei Lehrer an, die sie selbst ausgebildet hat und die vor allem das Motorbootfahren unterrichten. Auch heute noch nimmt Hanna Erstgespräche entgegen. Die sind ihr extrem wichtig. Hanna strahlt Vertrauen aus. Meistens wissen die Menschen nach einem Telefonat, dass sie den Schein bei ihr machen wollen.
In ihrem schönen Büro auf der Lindauer Insel direkt am Hafen nimmt sie jeden mit offenen Armen auf. Das im Segelsport übliche „Du“ mag zusätzlich helfen. Hinter ihrer lockeren, freundschaftlichen Art steckt viel Disziplin. Wenn Hanna morgens in den Hafen kommt, hat sie die Büroarbeit erledigt. Über ihre Arbeitszeit entscheidet der Wind. Ständig den Blick auf dem Radar, gibt sie abends die Kurszeiten für den nächsten Tag aus. Es kann sein, dass bei entsprechendem Wind die Segel um sechs Uhr früh gehisst werden.
Rund um die Welt
Mit Oktober endet die Saison am Bodensee. Im Anschluss bietet Hanna Küsten- und Hochseeausbildung an. Mit einem gecharterten Boot segelt sie mit 6–8 Prüflingen den Kurs Elba–Capraia–Korsika. Am Ende des Turns kommt die Prüfungskommission an Bord. Geprüft wird vor allem, ob jemand, ohne zu zaudern, mit wenig Worten, klare Entscheidungen treffen kann. Man schätzt Hannas Zuverlässigkeit und vertraut ihr große, private Boote an, die sie über den Atlantik oder durch die Karibik führt, etwa von Martinique nach Kuba. Diese Turns verlangen exakte Planung.
Ein halbes Jahr zuvor beginnt Hanna, ihren Schlaf zu trainieren. Mehrere Wochen segelt sie am Stück. Selbst wenn es Nacht- und Ankerwachen gibt, trägt sie als Schiffsführerin die Verantwortung. Um fit zu bleiben, trainiert sie ihre Muskeln, wandert, läuft und schwimmt. Porridge ist ihr Essen. Viel hält sie vom Intervallfasten, nicht weil sie abnehmen will, sondern weil es ihrem Körper guttut. Für die langen Turns nimmt sie gern Leute mit, die für den Küstenschein Seemeilen nachweisen müssen und erfahren sollen, dass es einen Unterschied macht, ob man abends in den heimatlichen Hafen segelt oder durch mehrere Nächte segelt. Sie hat schon krasse Stürme erlebt, aber solange sie sich sauber vorbereitet, kann nicht viel passieren, außer dass sie mal einen Sturm umsegeln muss und dadurch ein paar Tage verliert.
Anker auf am Bodensee
Von allen Binnen- und Küstengewässern, die Hanna kennt, liebt sie den Bodensee am meisten. Wenn der Fön von den Bergen fällt, das Wasser türkis leuchtet und Schaumkronen tanzen, geht ihr das Herz auf. Wer behauptet, der Bodensee sei ein Flauten-Gewässer, hat keine Ahnung, wie spektakulär und spannend die Wetterbedingungen in der Bregenzer Bucht sind. Und weil sie nach sechs Segelschultagen noch immer nicht genug hat, läuft sie abends, gemeinsam mit ihrem Mann, noch einmal mit ihrem Boot aus. Weit hört man sie rufen: „Hoch die Lappen!“