„Geht nicht“ gibt’s nicht!
Es ist auch kein gewöhnlicher Kopf, er ist immerhin fast 14 Meter hoch und 11 Meter breit und wiegt samt Unterbau 140 Tonnen. Und er spielt alle Stückerln, lebensecht in seiner inneren und äußeren Beweglichkeit, mit allen Gemütsfacetten zwischen lustig und bedrohlich, die im Gesicht dieses Clowns das in der Zirkuswelt angesiedelte Bühnengeschehen der Oper haarklein widerspiegeln. Ein Meisterwerk moderner Bühnentechnik, das mit der Zeit immer stärker menschliche Züge annimmt und zur perfekt schwebenden Illusion wird, je mehr die Dunkelheit den im Fachjargon „Wippe” genannten großen schwarzen Kran-Ausleger verschlingt, der das Ding im Hintergrund bewegt. Und damit den erstmals auf dieser Seebühne verorteten „Rigoletto” zu einer der spektakulärsten Inszenierungen in der Geschichte der 1946 gegründeten Bregenzer Festspiele werden lässt.
Da gab es im Vorjahr unter den rund 180.000 Besuchern bei 27 ausverkauften Vorstellungen auf der 7000 Plätze zählenden Seetribüne wohl niemanden, der nicht auf Anhieb von diesem Ungetüm fasziniert gewesen wäre. Aus seiner anfänglich fröhlichen Naivität heraus beginnt es augenzwinkernd mit dem Publikum zu kokettieren – so lange, bis der Clownskopf mit fortschreitender Dramatik der Handlung Stück für Stück zu einer Art Totenkopf wird, mit leeren Augenhöhlen und ausgefallenen Zähnen, und damit das Grauen auch auf die Tribüne überschwappt. Eine Clownspuppe als Metapher für die stürmischen Seelenlandschaften der Protagonisten.
Mut zum Risiko
Der Münchner Regisseur Philipp Stölzl (52) hat gemeinsam mit Bühnenbildnerin Heike Vollmer diese Kernidee für seine Inszenierung kreiert, als ihn Festspiel-Intendantin Elisabeth Sobotka vor vier Jahren zu seiner größten Freude mit dieser Aufgabe betraute. Stölzl hat sich mit opulenten Filmen wie „Nordwand”, mit Videoclips für Rock- und Popgrößen, aber auch im Opernbereich als unglaublich fantasievoller Regisseur erwiesen, der das große Format im kleinen Finger hat und damit auch die riesige Seebühne als willkommene Spielwiese betrachtete.
„Ich wollte etwas Neues wagen”, gab er inzwischen zu Protokoll: „Ein metamorphotisches Bühnenbild, das sich sehr stark verändert über den ganzen Abend. Eher eine große, dynamische Maschine als eine Skulptur, fast so etwas wie eine Marionette.” Der Kopf ist flexibel, „mobile”, wie der Herzog in einer berühmten Arie die Frauen abfällig bezeichnet. Er kann sich nach verschiedenen Seiten drehen und nach vorne beugen, Mund und Augen auf- und zumachen und bietet 13 Mitwirkenden Platz. Links und rechts davon ragen zwei Hände aus dem Wasser, eine davon mit beweglichen Fingern. Die andere hält einen mit 1.300 Kubikmeter Helium gefüllten, kugelförmigen Fesselballon, von dem aus Gilda später in luftiger Höhe ihren Ohrwurm „Caro nome” in den Abendhimmel setzt.
Mit diesem außergewöhnlichen Bühnenelement stellte Stölzl sogar das mit allen Bodenseewassern gewaschene, für jedes denkbare Experiment offene Festspielteam auf eine harte Probe. Damit war vor allem auch der erst seit 2015 hier amtierende, aus Darmstadt gebürtige und früher in Graz tätige erfahrene technische Direktor Wolfgang Urstadt (53) stark gefordert: „Die erste Begegnung fand 2016 statt, meine erste (innere) Reaktion war: Das geht nicht! Doch dann begannen wir Schritt für Schritt Lösungen zu suchen. Aus heutiger Sicht bin ich überrascht, wie nah wir an der ursprünglichen Idee dran sind. Aber wir haben in unseren Reihen sehr gute Projektleiter mit viel Erfahrung am See, und auch die meisten der hier tätigen 46, vor allem heimischen, Firmen haben diese Erfahrung und das spezielle Know-how, das für ‚Rigoletto‘ notwendig war. Das und ein gutes Projektmanagement haben geholfen, die nicht immer einfachen Herausforderungen zu meistern.”
Technische Raffinesse
Wie und von wo aus wird der Kopf gesteuert? „Die Schaltzentrale mit zwei rechnergestützten Bedienpulten,” so Urstadt, „ist im Betonkern untergebracht. Die Bediener haben dort alle notwendigen Bilder der Überwachungskameras und die notwendige Ruhe, um sich auf ihre Aufgaben konzentrieren zu können.” Natürlich war man im Team auch bemüht, trotz der aufwendigen Technik die mit 8 Mio. Euro für eine Seebühnen-Produktion veranschlagten Kosten einzuhalten: „Wir sind in unserem Budgetrahmen geblieben. Dazu war es in den einzelnen Phasen des Projektes notwendig, auch Abstriche zu machen.” Gab es bei Wolfgang Urstadt und seinem Team jemals Zweifel, ob letztlich auch alles funktionieren würde? „Ja! Diese Zweifel gab es bei unseren Mitarbeitern und auch bei mir, zum Glück immer im Wechsel. Aber der Slogan im Theater heißt immer: Der Vorhang muss aufgehen. Und nach diesem Motto hat das ganze Team eine Wahnsinnsleistung vollbracht!”
Philipp Stölzl
Regisseur und Bühnenbildner von „Rigoletto”
„Ich wollte etwas Neues wagen. Ein metamorphotisches Bühnenbild, das sich sehr stark verändert über den ganzen Abend. Eher eine große, dynamische Maschine als eine Skulptur, fast so etwas wie eine Marionette.“
Facts:
Rigoletto
Oper in drei Akten von Giuseppe Verdi
Libretto von Francesco Maria Piave
Uraufführung: 11. März 1851, Teatro La Fenice, Venedig
Spieldauer 2020: 22. Juli bis 23. August 2020
Inszenierung & Bühnenbild: Philipp Stölzl
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Orchester: Wiener Symphoniker
Spieldauer: ca. zwei Stunden ohne Pause