Mit der Zukunft auf Kurs
Herr Reich, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Hohentwiel?
Als ich 1988 die Leitung des Schifffahrtsamtes St. Gallen übernahm, war das Amt auf allen St. Gallischen Gewässern des Bodensees, Walensees und des Zürichsees für den Vollzug der jeweils geltenden Schifffahrtsvorschriften und damit u. a. auch für die Zulassung von Wasserfahrzeugen und Schiffsführern aller Kategorien zuständig. Gleichzeitig hatten wir damals, bis zum Zusammenschluss mit der SBS in Romanshorn, als Mandat auch die Geschäftsführung der Schiffsbetriebe Rorschach inne. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich zum Dampfschiff Hohentwiel nicht mehr, als man bei uns am Schweizer Ufer damals in den Zeitungen lesen konnte. Dies sollte sich in den kommenden Wochen und Monaten ändern.
Die Restaurierung der Hohentwiel befand sich damals in einer fortgeschrittenen Phase der Realisierung. Die Förderer mussten sich nun auch intensiv mit dem späteren Betrieb des Fahrgastschiffes auseinandersetzen. In den Satzungen des 1984 gegründeten Vereins Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum steht unter anderem, dass der Verein die Errichtung und den Betrieb eines Bodensee-Schifffahrtsmuseums, vornehmlich in Form eines voll instandgesetzten Dampfschiffes, das als Fahrgast-Museumsschiff auf dem Bodensee betrieben werden soll, bezweckt. Ebenfalls in den Satzungen vorgesehen war, dass der Betrieb des instandgesetzten Schiffes nach Möglichkeit durch Träger der Bodenseeschifffahrt erfolgen sollte, sprich durch eines der etablierten Schifffahrtsunternehmen (zu jenem Zeitpunkt: ÖBB, DB und SBB).
Der Haken an der Sache war, dass im Endspurt der erfolgreichen Renovierungsarbeiten keines dieser Schifffahrtsunternehmen am See bereit war, die Hohentwiel in ihre Flotte zu integrieren und zu betreiben. So kam es, dass mein Amtsvorgänger Ernst Schwarz vom damaligen Präsidenten der Schweizer Sektion, Architekt Ferdinand Bereuter, ein grandioser und unermüdlicher Förderer der Hohen-twiel in der Schweiz, angefragt wurde, ob allenfalls eine Aufnahme der Hohentwiel in die Flotte der Schifffahrtsbetriebe Rorschach möglich sein könnte. Damit hatte die Hohentwiel anfangs 1989 definitiv auch mich als designierten Nachfolger von Ernst Schwarz erreicht. Ich sehe uns noch heute, wie wir maßstabsgetreue Grundrisse der Hohentwiel und unserer drei Fahrgastschiffe auf einem grossen Plan unseres Hafens in Rorschach umherschoben.
Zwei Tage nach ihrer 2. Jungfernfahrt am 17. Mai 1990 lud Ferdinand Bereuter zu seinem 60. Geburtstag an Bord der Hohentwiel ein. Ich mag mich noch gut erinnern: Es war ein Prachttag mit viel Prominenz. Unser jüngster Sohn wurde auf der Fahrt in der Kapitänskajüte gestillt.
2014 fragte Sie Hans Kubat, damaliger Präsident der Schweizer Sektion, ob Sie sich eine Mitarbeit im Vorstand der Schweizer Sektion des IBSM vorstellen könnten ...
In der Tat, ja. Im Mai 2015 erfolgte meine Wahl in den Schweizer Vorstand, im Oktober 2016 in den Vorstand des Internationalen Vereins und 2017 in den Aufsichtsrat der damaligen HSG (Hohentwiel Schifffahrtsgesellschaft). 2020 löste ich Hans Kubat als Präsident der Schweizer Sektion und als 1. Vizepräsidenten im IBSM ab.
Durch meine beruflichen Tätigkeiten in vielen Kommissionen und Fachgremien der Schweiz und rund um den Bodensee entstand ein sehr gutes Netzwerk und ich konnte mir über die vergangenen drei Jahrzehnte zusätzlich einiges an technischem und rechtlichem Knowhow in der Schifffahrt aneignen. Insbesondere die 23 Jahre als Geschäftsführer der Schiffsbetriebe Rorschach lehrten mich, mit den Herausforderungen umzugehen, mit denen sich ein Schifffahrtsunternehmen, egal welcher Größe, laufend auseinandersetzen muss: Von den Fahrplandiskussionen mit der Bundesbahn über Angebote, Marketing und den Vertrieb, den technischen Unterhalt, die Instandhaltung und Erneuerung, Aus- und Weiterbildung des Personals bis hin zu den besonderen Herausforderungen der Gastro bei Angebot und Logistik, welche sich nicht mit einem Restaurant an Land vergleichen lassen.
Der tägliche Kursverkehr, 40–50 Themenfahrten und 120–140 Charter, und dies mit einer äußerst dünnen Personaldecke, waren schon damals unsere Knackpunkte und müssen auch heute noch durch die Crew der Historischen Schifffahrt Bodensee (HSB) täglich gelöst werden, ohne dass der Kunde davon etwas merken darf.
Ohne Unterstützung meiner Familie hätten wir häufig keine Lösung parat gehabt – meine Frau hat in den letzten 8 Jahren die gesamte Gastro geleitet und unsere vier Kinder haben als Matrosen und in der Küche als Notnagel mitgearbeitet. Ich weiß also, wovon ich spreche, wenn ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der HSB in Marketing, Vertrieb, Administration, Nautik und Gastro meinen hohen Respekt und meine Anerkennung für die hervorragende Bewältigung dieser tagtäglichen Herausforderungen ausspreche!
Welche künftige Herausforderungen kommen auf die Eigentümerin bzw. den Verein zu?
2023 wird unsere Hohentwiel 110 Jahre alt. Viele der technischen Einrichtungen sind restauriert und seit drei Jahrzehnten gut und liebevoll gepflegt. Seit der Restaurierung liegen aber immerhin auch schon wieder 33 Jahre zurück. Die Überholung der Schiffsschale und weiterer Komponenten auf der Werft in Romanshorn im Jahre 2021 haben klar aufgezeigt, dass sich die Unterhaltsintervalle künftig deutlich verkürzen werden. Die dafür erforderlichen Mittel muss der Verein als Eigentümer aufbringen.
Ich sehe uns als Internationalen Verein, aber auch die beiden Sektionen in Deutschland und der Schweiz, sehr in der Pflicht, diese finanziellen Mittel zur gegebenen Zeit in ausreichendem Umfang bereitstellen zu können. Dazu sind wir auf eine möglichst steigende Zahl begeisterter Mitglieder angewiesen. Eine Mitgliedschaft definiert sich nicht nur über die ideelle Unterstützung und Identifikation mit dem letzten fahrenden Schaufelraddampfer auf dem Bodensee und das Bezahlen eines jährlichen Mitgliedsbeitrags. Mitglieder kommen zunehmend auch in den Genuss verschiedener Angebote der Vereine und der HSB Betriebsgesellschaft. Mitmachen lohnt sich also in jedem Fall.
Wir danken für das Gespräch.