Auf dem Höhepunkt der Moderne
Hohentwiel. Oh, du Einzige.
Am 1. Jänner 1913 vermeldet die Vorarlberger Landeszeitung: „Die Arbeiten an dem neuen Dampfboot Hohentwiel sind so weit vorgeschritten, dass man es in der ersten Hälfte des Januar 1913 zwecks Vollendung der Maschinenanlage und Einsetzens der Radschaufeln, des Kamins und des Masts vom Stapel laufen lassen kann. Auch die anderen Arbeiten im Inneren des Schiffes werden im Laufe dieses Monats fertig, sodass im Februar des Jahres die Vornahme der Probefahrten in Aussicht zu nehmen ist.“
Bald zählte die Hohentwiel zu den prominentesten Schiffen auf dem Bodensee. Graf Zeppelin feierte auf ihr seinen Geburtstag und Wilhelm II. von Württemberg lud den König von Sachsen zur schönen Ausflugsfahrt.
Wochenlang liegt grauer, undurchdringlicher Nebel über Bregenz und dem Bodensee. Unaufhörlich hallen die Töne der Nebelhörner durch die Luft. Aber am 11. Jänner 1913 lichtet sich für Stunden der graue Schleier, und das Auge sieht ein entzückendes Bild: An den Hängen des Pfänders sind die Abertausenden von Tannen behängt mit glitzernden Kristallbärten und Raureif. Auf Straßen und Dächern liegt eine zehn Zentimeter hohe Schneedecke. Hobel und Brettel werden vom Boden geholt. Hinaus geht’s in die winterliche Welt. Es ist acht Uhr früh. Der neue Dampfer Hohentwiel läuft in Friedrichshafen vom Stapel und wird im hinteren Hafen untergebracht. Das Schiff macht, soweit sich das beurteilen lässt, einen recht gefälligen Eindruck und bildet ohne Zweifel eine Zierde der württembergischen Bodensee-Flottille.
Im Rohbau fertig
Am 6. Februar unternimmt der neue Dampfer Hohentwiel nachmittags um zwei Uhr seine erste Probefahrt unter Führung zweier Ingenieure der Firma Escher, Wyss & Cie. An der Innenausstattung wird noch gearbeitet. Am Christi Himmelfahrtstag, dem 1. Mai 1913 fährt die Hohentwiel zur offiziellen Abnahme. Auf der Hohentwiel ist die Teilnahme lebhaft, die Honoratioren der Königlich-Württembergischen Staatseisenbahn anwesend. Der immer stärker werdende Sturm stört die schöne Ausfahrt und der See ist derart in Bewegung, dass selbst der große Dampfer sich nur mit Mühe durch die wild daherstürmenden Wogen seinen Weg in den sicheren Hafen bahnen kann.
Mit Volldampf voraus
Ab Mai 1913 bediente der Halbsalondampfer Hohentwiel vom Heimathafen Friedrichshafen aus vor allem die Kurse im Bodensee-Längsverkehr. Das Publikum liebte sie und bald zählte die Ho-hentwiel zu den prominentesten Schiffen auf dem Bodensee. Graf Zeppelin feierte auf ihr seinen Geburtstag und Wilhelm II. von Württemberg lud den König von Sachsen zur schönen Ausflugsfahrt.
Nach turbulenten Jahrzehnten ging sie vor Anker und diente ab 1963 dem Bregenzer Segelclub als Restaurant und Clubheim. Dass sie das große Dampfersterben auf dem Bodensee als einzige überlebt hat, ist ein Glücksfall. Der zweite: In den 1980er Jahren hat eine Gruppe von Enthusiasten dem fürchterlich heruntergekommenen Schaufelraddampfer seinen Glanz von einst zurückgegeben.
Bild links: Unter den weißen Sonnensegeln der Hohentwiel lässt es sich an warmen Sommertagen herrlich dinieren und das Leben genießen. / Bild rechts: Der Blaue Salon gewährt allen Passagieren freien Blick auf die historische Dampfmaschine.
Rettung in letzter Minute
Nach sechs Jahren unermüdlicher Recherche- und Restaurierungsarbeit konnte die Hohentwiel am 17. Mai 1990 erneut zur Jungfernfahrt auslaufen. Wer heute mit der Hohentwiel ausfährt, bewegt sich in einer anderen Zeit und darf für Stunden dem Rest der Welt getrost den Rücken kehren. Mit ihren eleganten Linien verkörpert die Hohentwiel wie kaum ein anderes historisches Schiff die große funktionale und ästhetische Qualität ihrer Zeit. Beiboote, in traditioneller Technik aus Mahagoni gefertigt, blank geputzte Positionslaternen, Bronzereliefs mit dem württembergischen Wappen, die erlesene Innenausstattung und natürlich die offen einsehbare Dampfmaschinenanlage von Escher, Wyss & Cie – alles vermittelt die unvergleichlich vornehme Atmosphäre der Belle Epoque.
Ein Schiff voller Geschichten
Natürlich gibt es auch unzählige Anekdoten, die auf dem Schaufelraddampfer spielen. Hier nur ein kleiner Auszug: So wurde für den 22. James-Bond-Film mit dem Titel „Ein Quantum Trost“ auch auf der Hohentwiel gedreht. Erzählenswert ist auch die Geschichte einer Schweizerin. Der Dame wurde der Zugang zur Hohentwiel verwehrt – sie trug High Heels. Auf dem Schaufelraddampfer ist eine Mindest-Absatzgröße von 2 mal 2 Zentimeter aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben, auch, um das Parkett zu schonen. Die Frau lehnte ein Ausziehen der Schuhe mit dem Argument ab, sie habe ihre Fußnägel nicht lackiert und könne als Perfektionistin so nicht auftreten. Der Bootsmann entgegnete, auch er sei Perfektionist, allerdings was das Schiff betreffe. Der hinzugekommene Maschinist hatte die Lösung: Man habe einen knallroten Bootslack in RAL 3000 an Bord. Also wurde die Dame in den Mannschaftsraum gebeten, wo ihr der Maschinist sorgfältig die Nägel lackierte. Alle waren zufrieden. Die Frau konnte nicht nur die Fahrt an Bord der Hohentwiel genießen – sie musste auch für längere Zeit ihre Nägel nicht mehr lackieren.