Bär und Puppe
Im Salon hat jemand eine Rose liegenlassen, dort liegt ein Hut. Mist. Mist. Mist. Bär rennt rein und raus, trägt den Leuten ihre Sachen nach und fragt sich, wie ein Bär allein zwei Schiffe schaffen soll. Da schleppen zwei Männer auch noch eine Kiste an Bord. Die neue Deko, sagen sie, sehr wertvoll, über hundert Jahre alt. Im Damensalon stellen sie sie in eine Ecke und gehen.
Eine echte Schatztruhe. Poch, poch, poch. Sitzt jemand in der Truhe? Bär öffnet den Deckel, der gefühlt mindestens eine Tonne wiegt. Eine Porzellanpuppe streckt ihm ihr Hinterteil in einem kornblumenblauen Rüschenkleid entgegen. Sie hat ein herzförmiges Mündchen, Apfelbacken und rosa Schleifen in zwei Blondzöpfen, von denen einer lang ist und einer kurz.
„Ich stecke fest“, sagt sie grimmig. Bär stemmt sich gegen einen Tischleuchter, der wie eine Frauenfigur aussieht. Kaum ist Puppe frei, stößt sie Bär gegen die Brust und saust davon. „Wohin rennst du denn?“ Er rappelt sich auf und sieht, wie Puppe von der Gangway und dem Steg hüpft. Der Strohhut, der mit einer Schnur um ihr Kinn befestigt ist, fliegt hinter ihr her. Oh nein! Sie will doch nicht etwa auf den Leuchtturm?!
„Das ist gefährlich!“, ruft er, als Puppe schon zwischen den Beinen der Leuchtturmwärterin vorbeihuscht. Als Bär eintritt, klettert Puppe schon hoch über ihm Stufe für Stufe nach oben. „Wovor rennst du denn davon?“
„Vor dir!“, ruft Puppe. „Und vor allen, die mich besitzen wollen.“
„Was ist denn passiert?“, keucht Bär „Weihnachten ist passiert. Da kam die Neue. Gerda! Bäääh! Die war viel hübscher als ich, obwohl ich echtes Haar habe und sie nicht. Sie bekam Fläschchen mit der süßen Zuckermilch, die nur fürs Baby war.“ Plappernd klettert Puppe auf die nächste Holzstufe und verliert ihr Schühchen. „Man hat Gerdalein im weißen Wagen durch den Tiergarten gefahren und mit rosa Seidendecken zugedeckt. Jeden Tag schneiderte man ihr reizende Kleidchen und zeigte ihr die Sehenswürdigkeiten, wie den Portier, die tutenden Autos und die Schokoladenautomaten. Ich musste allein zuhause bleiben mit dem achtjährigen Wilhelm, dem gefährlichsten Menschen auf Erden. Der Bösewicht schnitt mir einen Zopf ab, verklebte mir die Augen und ließ mit seiner Feldherrnstimme seine Soldaten gegen mich aufmarschieren. Er donnerte mir die Kanonen nur so um den Kopf und schrie, dass er mich mausetot schießen werde. Und dann kam dieser dumme Saubermachtag. Sie klopften Sessel und quietschten mit dem nassen Leder auf den Scheiben. Die Teppichmaschine schnurrte. Mit der musste ich nach Amerika fahren. Kreuzelend war mir. Das Schiff krachte gegen ein Felsenriff, einen Eimer. Plötzlich zogen mich tintenbeschmierte Jungenhände am Arm empor. „Himmel, jetzt murkst er mich ab“, dachte ich. Er setzte mich auf die Fensterbank. Ich bekam Übergewicht und fiel aus dem Fenster. Der Portier fing mich auf. Und dann wurde ich verkauft und verkauft und verkauft. Aber das ist jetzt vorbei!“ Puppe war oben angelangt. Atemlos stieß sie die schwere Tür auf, trat auf die Plattform und rief: „Ich bleib für immer hier auf dem Leuchtturm, genieße den Wind und die Freiheit. Niemand darf mich besitzen.“
Bär kämpft gegen Seitenstechen und keucht: „Ich will dich doch nicht besitzen. Ich brauche eine Mitarbeiterin. Siehst du die Schiffe da unten? Kannst dir eines davon aussuchen.“ Puppes kugelförmige, blaue Augen werden noch größer. „Ein echtes Schiff?“ Wie Spielzeuge liegen sie bunt und hübsch unten im Hafen. Dann strahlt sie ihn an. Ein Tuten erfüllt die Luft. Bär erschrickt. „Nichts wie los!“, ruft Puppe. Bär reicht ihr den Schuh. Zeit zum Anziehen bleibt nicht. Hintereinander setzen sie sich auf das Holzgeländer und rutschen durch den Leuchtturm nach unten.