Tee mit der Gräfin
Geschäftsführerin Bettina Gräfin Bernadotte af Wisborg
Schwarze Wolken hängen über der Mainau. Regen klatscht auf gelbe Blätter. Noch blühen die Dahlien. Mammutbaumstämme glänzen zimtfarben. Vor mir fällt der strubbelige Knäuel einer Türkischen Hasel ins nasse Gras. Der Duft nach Zypressen, Zedern und Harz macht mich betrunken. Ich hätte Bettina Gräfin Bernadotte af Wisborg am Bildschirm bei mir zuhause in Wien treffen können, aber dann hätte ich diese unvergleichliche Sinnesorgie verpasst, an jenem Montagmorgen Ende Oktober, als ich – fast allein auf der Insel – zum Schloss gehe, um mit der Gräfin zu sprechen, die als Geschäftsführerin der Mainau GmbH für den Betrieb der Blumeninsel verantwortlich ist.
„Ich bin wie eine Puzzlespielerin.“
Wir sitzen in einem herrschaftlichen Raum. Der Tee dampft. Gräfin Bettina verbreitet gute Laune. Sympathisch, professionell und kompetent, lässt sie sich nicht anmerken, wie eng getaktet ihre Termine sind. Die Mainau ist facettenreich. Spezialist:innen für Garten, Gastronomie, Handel und Marketing treffen sich alle zwei Wochen zum Austausch. „Und ich puzzle dann alle Teile zusammen“, sagt die Gräfin lachend. Sie verbringt viel Zeit mit der Vernetzung der einzelnen Bereiche. Im Moment steht das Budget vor dem Abschluss.
Baumdoktoren
Ich erfahre, dass die Mainau kein optimaler Ort für eine Baumsammlung ist. Ob Großherzog Friedrich, der die Insel 1853 kaufte und sich fremdländische Gehölze liefern ließ, wusste, dass auf diesem undurchlässigen Felsen, der in der letzten Eiszeit entstand, die Erdschicht nur zwei bis zweieinhalb Meter dick ist? Mammutbäume brauchen eigentlich mehr. „Wir haben seit jeher die pflegerische Aufgabe, die Pflanzen mit Wasser und Nähstoffen zu versorgen.“ Bei Tiefwurzlern müssen Profis ans Werk. Drei Pflanzendoktoren stellen bei Bedarf für die Bäume ein Ernährungsprogramm zusammen. Jede Pflanze hat eine eigene Akte und wird zielgerichtet versorgt mit einem breiten Spektrum aus z. B. Mikroorganismen, Steinmehlen und Pflanzenhomöopathie.
Einen Beitrag leisten
Der Wandel des Klimas ist die größte Herausforderung. „Unser Produkt besteht zu 95 Prozent aus Natur, und Gartengestaltung ist eine langsame Form der Kunst. Wir müssen Jahrzehnte vorausdenken und uns anpassen.“ Die Mainau GmbH arbeitet eng mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zusammen. Das veränderte Klima macht sich sogar in den Pumpanlagen und Leitungssystemen für die Gartenbewässerung bemerkbar, wenn zum Beispiel mit dem Seewasser Larven der eingewanderten Quagga-Muscheln angesaugt werden, die dann als Muscheln die Leitungen verstopfen. Der sorgsame Umgang mit Ressourcen ist der Gräfin ein großes Anliegen. Ihre Worte inspirieren mich. Mir wird klar, dass ich sogar mit der Bepflanzung meiner Blumentöpfe, die in einem Wiener Hinterhof stehen, etwas beitragen kann.
„Es ist klar, dass sich keiner einen Mammutbaum in den Garten pflanzt, aber vielleicht können wir Ideen und Inspiration liefern.“
Würde man die Quadratmeter aller privaten Gärten zusammenzählen, erhielte man eine astronomisch hohe Zahl. Auf die Insel kommen jedes Jahr 1,2 Millionen Menschen, von denen viele Gärten haben, die damit Erde, Luft, Wasser und Artenvielfalt beeinflussen. „Wir fühlen uns verpflichtet, zu zeigen, wie man schöne Gärten gestalten und anlegen kann, wie man sorgsam mit Ressourcen umgeht und Biodiversität fördert.“ Jeder Quadratmeter macht einen Unterschied.
„Man muss nicht verrückt sein, um auf der Mainau zu arbeiten, aber es hilft.“
Ideen gedeihen auf der Mainau so prächtig wie Tulpen. Die, die hier arbeiten, hängen Kronleuchter in Platanen, bepflanzen Instrumente und lassen sich stets Neues einfallen. Als das Kultspiel „Catan“ (ehemals „Siedler von Catan“) Geburtstag feierte, pflanzten sie das größte Catan-Feld der Welt in Wabenstruktur. Begehbar und spielbar. Ein Wüstenfeld diente Kindern als Sandkasten. Umgeben war es von einem Blumenmeer aus blauen, insektenfreundlichen Pflanzen. Ein 10.000 Quadratmeter großes Wunderwerk. „Unsere Arbeit ist so vielfältig, dass wir einzelne Aspekte hervorheben möchten und uns dafür jeweils ein eigenes Thema überlegen.“ Aktuell heißt es: „Schlossjuwel und Gartenrausch“.
„Wo ist die Toilette, warum graben Sie das aus und wann fährt das Schiff nach Meersburg?“
Es ist ein Privileg, auf der Mainau für Park und Gärten zu arbeiten. Markus Zeiler, der Gartendirektor, tut es seit 22 Jahren. Auf der Insel sind Landschaftsgärtner:innen häufig langfristig angestellt, andernorts ziehen sie weiter, sobald ein Projekt fertig ist. Hier dürfen sie bleiben und können sich einbringen. Spezialist:innen – etwa für Orchideen oder Obstgehölze – gehen völlig darin auf, Sorten zu erhalten und zu pflegen. Der einzige Nachteil ist, dass sie im Besuchertrubel ständig unter Beobachtung stehen. Neben der körperlichen Arbeit werden ihnen von den Gästen viele Fragen gestellt. Die Gräfin erklärt ihren Mitarbeiter:innen dann, dass ein Tag auf der Mainau ein besonderes Erlebnis ist. Man flaniert mit lieben Menschen und teilt die freie Zeit mit jenen, die hier arbeiten. Im Gegenzug können die Mitarbeitenden die Gäste mit ihrer Begeisterung für Natur und Garten anstecken. „So etwas gibt es sonst nirgends.“
„Ich darf Blumen taufen, Dinge eröffnen und Auszeichnungen entgegennehmen.“
Ausgezeichnet wurde Gräfin Bettina jüngst von Baden-Württemberg zur Unternehmerin des Jahres, und vom Tourismusverband für ihr Engagement für Nachhaltigkeit im Tourismus. „Bald erreichen wir das Ziel und gärtnern komplett biologisch. Wir versuchen Wasser in Böden zu speichern, ohne Torf zu benutzen, weil Moore erhalten bleiben müssen. Diese ganzheitliche Betrachtung ist eine große Herausforderung, besonders im Zierpflanzenanbau.“ Für die Anreise gibt es geförderte Kombitickets. Die Stadtwerke Konstanz haben ein neues E-Schiff in Dienst gestellt, das komplett elektrisch und zu 25 Prozent mit Solarenergie betrieben wird. Es heißt MS Insel Mainau. Ich frage, ob sie schon einmal mit der Ho-hentwiel gefahren ist. „Na klar, ich hatte schon mehrfach das Glück.“ Zuletzt bei der Veranstaltung einer Stiftung, die sich für Jugendliche einsetzt. Mit an Bord war die schwedische Königin Silvia, die immer wieder auf die Mainau zu Besuch kommt, um ihre Verwandten zu treffen. Der Tee ist ausgetrunken. Wir verabschieden uns.
Irmgard Kramer
Autorin
„Im Schlosscafé esse ich köstliche Kirschen-Schoko-Mousse-Torte. Durch das Palmenhaus gehe ich hinaus. Um Energie zu sparen, überwintern Zitrusfrüchte und Orchideen heuer hier. Die schwedischen Weihnachtsbuffets müssen weichen. Das oberste Ziel ist es, Pflanzen mit Wärme versorgen zu können. Gräfin Bettina verfolgt konsequent ein Energiekonzept, das die Insel unabhängig machen soll. Eine Holzhackschnitzelheizung, eine Holzvergaseranlage und Photovoltaik erzeugen im Moment 65 Prozent der benötigten Energie. Das schafft Erleichterung, aber richtig schlafen wird Gräfin Bettina erst wieder im April, wenn keine Pflanzensammlung erfroren ist. Mein Blick schweift über den Rosengarten zu den gelben Blättern des Ginkgos vor der Schlosskirche. Gärtner:innen graben Frühlingsblüher ein. Nächste Woche treffen sich alle Mitarbeiter:innen in der Frühlingsallee. Um sechs Uhr früh geht´s los. Gemeinsam werden sie rund 700.000 Tulpenzwiebeln einstampfen. Es hat aufgehört zu regnen. Die Sonne bricht durch die Wolken. Ich gehe zur Brücke. Aufgespannte grüne Regenschirme hängen auf dem Weg dorthin in Mary-Poppins-Manier über einem Sonnenblumenbeet. Da hatte wohl wieder jemand eine verrückte Idee. Ich muss lachen. Die lange Fahrt von Wien hierher hat sich gelohnt.“