Jürgen und die Oesterreich
Durch acht Jahrzehnte befuhr die Oesterreich in vielfältigen Funktionen den Bodensee – als Ausflugs- und Kriegsschiff, Eisbrecher und Abschussrampe für Torpedos. Am Ende des Zweiten Weltkrieges hätte sie eigentlich versenkt werden sollen, doch aus dem Kriegsrelikt wurde wieder ein schönes, zeitgemäßes Schiff – von den ÖBB 1951 wieder aufgebaut. Es fuhr bis zum Jahre 2009 und lag seit damals renovierungsbedürftig in der Fußacher Werft.
Es muss etwas geschehen
Ideen, die Oesterreich zu renovieren, hatte es mehrere gegeben. Die einen wollten ein luxuriöses Hotelschiff daraus machen, auch der Plan eines Kreuzfahrtschiffes stand im Raum. Das Projekt wurde – gedanklich – von rund 25 Personen unterstützt. 2014 gründete die private Initiative rund um Jürgen Zimmermann einen Verein – den „Freundeskreis MS OESTERREICH e. V.”
Anfang 2015 wurde an den Verein ein Ultimatum gestellt: Wenn das Schiff nicht bis 31. März 2015 einen neuen Eigentümer hat, wird es umgehend verschrottet. Der Verein handelte und erwarb das Schiff um den symbolischen Betrag von einem Euro. Ein Mann ist mit dem Gelingen der nun folgenden Mission zur Rettung der Oesterreich untrennbar verbunden: der erfolgreiche Bregenzer Unternehmer Jürgen Zimmermann. Schon in den Jahren 1994 bis 1997 hatte er mit sechs Stammtischkollegen die Initiative zur Generalsanierung der Nepomuk-Kapelle in Bregenz ergriffen.
Er war bei der Sanierung der Oesterreich für Organisation, Gestaltungsentwürfe, Finanzen und das Gesamtkonzept zuständig. Bei ihm liefen die vielen Fäden, die zum Gelingen des Werkes erforderlich waren, zusammen. Maßgebliche Unterstützung bekam er von seiner Frau Hildegard in der Büroarbeit und der Organisation, speziell in der Zeit, als das Büro noch in seiner Privatwohnung untergebracht war.
Eine solche Leistung ist, wie Jürgen Zimmermann gerne und oft betont, nur als Gemeinschaftswerk möglich. „Wir sind ein starkes Team und ich freue mich, dass ich dazu meinen Beitrag leisten konnte”, unterstreicht er. Die Unterstützung befreundeter Helfer war ebenfalls maßgeblich.
Im Büro der Oesterreich steht ein Modell des Bodenseeschiffes Kaiser Franz Joseph im Maßstab 1:28 (200 cm lang). Von ihm selbst nach historischen Fotos gezeichnet, geplant und gebaut. Detailverliebt tüftelte Jürgen eineinhalb Jahre auf seiner Veranda, fräste die Reling aus winzigen Metallplatten, schnitt Balsaholz in Streifenbrettchen für das Deck, nietete den Kamin aus Aluminiumblech und drehte die Bullaugen aus Messing. Genau 100 Jahre nach der Inbetriebnahme des Originals wurde das Modell 1986 im Salon der Austria wieder getauft.
Seine Leidenschaft für Schiffe begann sich bei Jürgen Zimmermann bereits früh abzuzeichnen. Schon als Kind kaufte er sich von seinem ersten selbst verdienten Geld Modellbaukästen. Schiffe waren es, die er baute. Sein erstes war ein Nordsee-Fischkutter.
Nunmehr konnte er erstmals ein „richtiges” Schiff in Arbeit nehmen. Denn mit dem Restaurierungsprojekt der Oesterreich hat er sich bereits seit 2012 befasst. Im Jahre 2016 erfolgte die Gründung der MS Oesterreich GmbH. In dieser Gesellschaft ist er seither als hauptberuflicher Geschäftsführer tätig.
In neuen Dimensionen denken
Jürgen Zimmermann entwickelte eine Reihe von Planstudien, basierend auf der Bauausführung der Oesterreich von 1952. Ziel war es, den Gästen eine moderne Gastronomie an Bord anzubieten. In der Zwischenzeit hatte auch der Kapitän der Hohentwiel, Adolf F. Konstatzky, von den Plänen rund um die Oesterreich gehört. Gemeinsam kamen sie zu dem Entschluss, dass es wohl für beide das Beste sei, künftig zusammenzuarbeiten. Jürgen Zimmermanns Frau Hildegard und Adi Konstatzky hatten die Idee, das Schiff im historischen Originalzustand von 1928 zu rekonstruieren. Damit war der Status „Museumsschiff” gegeben. Durch diesen Entschluss verdoppelten sich allerdings die Rekonstruktions- und Restaurierungskosten.
Mit viel Geschick gelang es Jürgen Zimmermann, viele Mitmenschen zu überzeugen, sich zur Rettung der Oesterreich einzubringen. Die Gesellschafter sind mehrheitlich Privatpersonen. Ihre Bereitschaft zur Finanzierung und weitere Gesellschafter zu finden war entscheidend für den Erfolg des Projektes.
Der Finanzplan setzt sich folgendermaßen zusammen: 4,5 Mio. Euro kommen von privaten Gesellschaftern, 3,4 Mio. Euro stammen aus einem BTV-Kredit – der zurückgezahlt werden muss, 990.000 Euro sind INTERREG-Förderung der EU und 750.000 Euro kommen vom Land Vorarlberg – verteilt auf 5 Jahre. Die Patenschaften für Schiffsobjekte beliefen sich auf 485.000 Euro. Durch sie konnte sich der Verein maßgeblich als Gesellschafter beteiligen. Diese breite Unterstützung aus der Bevölkerung war sehr wichtig, sie bildete die Voraussetzung für die Beteiligung des Landes Vorarlberg und des EU INTERREG-Programmes.
Wie anno dazumal
Die Stühle im Dinner- und Damensalon wurden eigens in Indonesien hergestellt, also exakt gemäß den Originalstühlen von 1928. Diese Detailtreue wurde am ganzen Schiff beachtet. Die Materialien und technischen Ausstattungen entsprechen den modernen Bestimmungen, wie Brandschutz etc.
Jürgen Zimmermann kümmerte sich um alle Details und spielte auch jedes vorhersehbare Wetter-Szenario durch, denn die Gäste an Bord sollten sich bei jedem Wetter wohl fühlen. Die Oesterreich ist das einzige Schiff auf dem Bodensee, das voll isoliert und voll beheizbar ist. Zudem hat sie als einziges Schiff motorisierte Isolierglasfenster. Da solche Fenster auf dem Markt nicht erhältlich waren, entwickelte sie Jürgen Zimmermann gemeinsam mit dem Metallbauer Jodok Felder selbst.
Diese Vorgehensweise ist für Jürgen Zimmermann, der stets hohe Ansprüche an sich und andere stellt, kennzeichnend und prägte ihn auch als Unternehmer. Gibt es eine Herausforderung und fehlen die Produkte, werden sie einfach selbst entwickelt. Besonders wertvoll ist für ihn die Freundschaft mit Franz Kirchebner, dem Produktionsleiter der Auer Holzmanufaktur in Innsbruck. Als Designer, Schreinermeister, Organisationsleiter und Projektplaner in einer Person hat er das Innenleben der Oesterreich in eine angenehme Wohnzimmer- und Salonatmosphäre verwandelt.
Alles ist möglich und nix ist fix
Das Projekt stand aber auch mehrfach auf der Kippe. Etwa als zwei Riesenkräne aus Winterthur und München das Schiff vom See ins Trockendock an Land heben sollten. Taucher mussten Gurte zwischen dem Seegrund und dem Schiff einfädeln. Dann zeigte sich unglücklicherweise, dass das Schiff zu schwer war. Die Kräne unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu schicken war unmöglich, denn allein die Hebekosten beliefen sich auf rund 100.000 Euro. Dann traf Jürgen Zimmermann mit dem Werftleiter Reinhard Rath eine schnelle Entscheidung: Bug und Heck müssen abgeschnitten werden.
Glücklicherweise war mit Markus Flatz einer der Hauptgesellschafter anwesend. Innerhalb von zwei Stunden fanden sie die benötigten Schweißer-Fachkräfte, die das Schiff vorne und hinten kappten. Mit Hilfe eines dritten Krans der Firma Scheffknecht gelang es schließlich doch noch, den Rumpf ins Trockendock zu
hieven.
Spannende Momente brachte auch der Tag, an dem das Schiff mit fertigem Rumpf und Antrieb, aber ohne Innenausbau, in Fußach über die neu renovierte Slipanlage ins Wasser rutschte – kaum 30 Zentimeter tief. Einen Tag lang stand es im Wasser. Dreißig Leute standen mit klopfenden Herzen an Land und starrten in das Schiff – kein Wasser zu sehen, also schob man es tiefer und wartete wieder einen Tag. Nach dem dritten Tag lag es mit 1,40 Meter Tiefgang im Wasser und dann kam das große Aufatmen: Das Schiff ist dicht! Die alte Nietenkonstruktion hält. Nun stand der Inbetriebnahme praktisch nichts mehr im Wege.
Der große Tag
Die Jungfernfahrt war am 18. April 2019, verbunden mit einer wunderschönen Feier und erstmaligen Publikumsausfahrt. Das Medieninteresse war überwältigend. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten sowie Kamerateams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen an Bord und berichteten durchwegs positiv und anerkennend über das gelungene Mammutprojekt Oesterreich.
Nun könnte man meinen, das Schiff sei fertig, es fallen jedoch noch viele Nachtragsarbeiten und Optimierungen an. Manches muss erprobt und verbessert werden, dazu kommen aufwendige Abrechnungsarbeiten, Behördenverfahren und insbesondere eine aufwendige drittverständliche Dokumentation. Schließlich müssen einige tausend Seiten digitalisiert und archiviert werden. Dutzende Maschinen und Anlagen werden von 19 Steuerständen überwacht und betrieben. So nebenbei erwähnt: Es wurden über 30.000 Meter Kabel verlegt.
Auch die Nachfolge der Geschäftsführung ist mit Bernd Hartmann geregelt, er ist für Marketing und Betrieb zuständig. Jürgen Zimmermann wird sich zurückziehen und noch eine Weile die Unterhalts- und Qualitätssicherung des wertvollen Schiffes begleiten.
Ein besonders glücklicher Umstand ist die intensive Zusammenarbeit mit dem Hohentwiel Verein Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum e. V. mit seinen Präsidenten Josef Büchelmeier, Hans Kubat und Horst Poralla. Auf administrativer und wirtschaftlicher Ebene arbeiten die Hohentwiel Schifffahrtsgesellschaft m.b.H. mit Geschäftsführer Adi Konstatzky und die Museumsschiff Oesterreich GmbH mit Geschäftsführer Bernd Hartmann unter der Marke „Historische Schifffahrt Bodensee” zusammen. Marketing, Beratung, Vertrieb, Gastronomie und Nautik werden gemeinsam betrieben. Synergieeffekte können so optimal genutzt werden.
„Wir haben uns nie vorstellen können, dass man ein Schiff so schön ausbauen kann”, sagen begeisterte Passagiere und Jürgen Zimmermann freut diese Anerkennung für die erbrachte Gemeinschaftsleistung.